Tagungsbericht: „Die Universität Kiel und ihre Professorinnen und Professoren oder: Wozu den Kieler Professorenkatalog?“
Interdisziplinäre wissenschaftliche Fachtagung, 20./21.04.2012
Abteilung für Regionalgeschichte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte
Bericht von Torsten Roeder, 24.04.2012
In der Kunsthalle zu Kiel veranstaltete die Abteilung für Regionalgeschichte des Historischen Seminars der Christian-Albrechts-Universität am 20. und 21.4.2012 die Tagung „Die Universität Kiel und ihre Professorinnen und Professoren oder: Wozu den Kieler Professorenkatalog?“ (siehe Pressemitteilung). Zwei volle Tage referierten und diskutierten Vertreter aus den traditionellen Geisteswissenschaften und aus den Digital Humanities über verschiedene Professorenkataloge und Kieler Professorenbiographien von den Anfängen bis zur Gegenwart der Universität. Da dieser Bericht vor allem auf die Fragen und Belange der Digital Humanities eingehen wird, ist an dieser Stelle zu entschuldigen, dass die geschichtswissenschaftlichen Beiträge nicht in ihrer vollen Tiefe berücksichtigt werden können.
Dass der Tagungstitel nicht nur aus rhetorischen Gründen gewählt wurde, zeigte die Auswahl der Referenten, die einerseits landesgeschichtliche Biografik, andererseits laufende Katalogprojekte und datenbankgestützte Forschung vertraten (siehe Tagungsprogramm auf H-Soz-u-Kult). Während der Mehrwert von prosopographischen Katalogprojekten aus Sicht der Grundlagenforschung und der institutionellen Standortbestimmung prinzipiell kaum infrage gestellt wurde, nahmen die landesgeschichtlichen Beiträge nur in der Minderzahl auf diese Kataloge Bezug. Den generellen Eindruck, dass Katalogprojekte und Geschichtsforschung zwar einen gemeinsamen Gegenstand behandeln, sich ansonsten aber unabhängig voneinander positionieren, konnten insbesondere die Beiträge von RAINER SCHWINGES, ULF MORGENSTERN und SARAH ORGANISTA souverän ausräumen. Insofern fand die thematische Aufteilung, welche sich im Tagungstitel bereits durch das „oder“ andeutet, tatsächlich ihren Niederschlag in einem Diskurs, der aber letztlich viele Verbindungsmöglichkeiten zutage brachte. Die Beiträge von HOLGER GAST und JOHANNES MIKUTEIT schlugen ihrerseits Brücken zur Informationstechnologie und zu den Digital Humanities und schlossen damit begriffliche Leerfelder; ebenso die Beiträge von BERNHARD EBNETH und BARBARA PFEIFER, deren Beiträge auf verschiedene Vernetzungsmöglichkeiten eingingen.
Die erste Sektion widmete sich Werkstattberichten aus laufenden Katalogprojekten. SWANTJE PIOTROWSKI (Kiel) gab Einblicke in den zukünftigen Kieler Professorenkatalog Online. Die Daten basieren auf einem historischen Katalog, der digitalisiert wurde und laufend redaktionell überarbeitet und ergänzt wird. Derzeit sind etwa 1.000 Professoren erfasst. Das weitgehend in einzelne Informationskontexte atomisierte Datenmodell ähnelt im Grundprinzip dem Ansatz des Personendaten-Repositoriums der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; es war überraschend, hier eine ganz ähnliche, unabhängig entstandene Idee umgesetzt zu sehen. KARSTEN LABAHN und MATTHIAS GLASOW (Rostock) präsentierten den auf MyCoRe basierenden Catalogus Professorum der Universität Rostock, welcher zurzeit Informationen zu etwa 2.000 Professoren enthält. Die Daten sind ähnlich wie im Kieler Katalog stichwortartig abgelegt und ebenfalls durch Quellendokumente ergänzt. Einen ontologischen Ansatz hingegen verfolgt der von CHRISTIAN AUGUSTIN und CHRISTIAN RAU (Leipzig) vorgestellte Catalogus Professorum Lipsiensis, welcher auf dem OntoWiki basiert. Sowohl hinsichtlich der eingesetzten Techniken als auch hinsichtlich der Granularität der Daten handelt es sich wohl um das ambitionierteste der drei vorgestellten Katalogprojekte.
Einblicke in ein herausragend gediehenes Informationssystem bot der Beitrag von RAINER SCHWINGES (Bern) über das Repertorium Academicum Germanicum (RAG). Die Datenbank enthält derzeit Informationen zu ca. 26.000 graduierten Gelehrten des Alten Reiches zwischen 1250 und 1550. Eine Perspektive auf die potenziellen Möglichkeiten komplexer Informationssysteme verschaffte insbesondere die Verbindung der Personendatenbank mit einem Geoinformationssystem und einer entsprechenden Visualisierung von Suchergebnissen.
Die folgende landesgeschichtliche Sektion behandelte anhand ausgewählter Lebenswege von Kieler Professoren die Verbindungen von Landes- und Universitätsgeschichte bis 1871 mit Beiträgen von DAGMAR BICKELMANN (Schleswig), DOMINIK HÜNNIGER (Göttingen/Hamburg), REIMER HANSEN (Berlin), LENA CORDES (Kiel) und JELENA STEIGERWALD (Kiel). Der öffentliche Abendvortrag „Kieler Professoren im Bild“ von ULRIKE WOLFF-THOMSEN (Kiel) lieferte eine sowohl historisch als auch kunsthistorisch erlesene Abhandlung über Professorenportraits an der Kieler Universität.
Den zweiten Tag eröffnete der ebenso konstruktive wie ermunternde Beitrag von HOLGER GAST (Tübingen), welcher kommunikative Lücken zwischen Geschichtswissenschaft und Informationstechnik aufzeigte. Der gemeinsame Dialog sei vor allem im Bereich der Datenmodellierung zu suchen. BARBARA PFEIFER (Frankfurt/M) präsentierte die erst zwei Tage zuvor veröffentlichte Gemeinsame Normdatei (GND), welche mehrere bestehende Normsysteme, darunter vorrangig Personennamendatei (PND), Gemeinsame Körperschaftsdatei (GKD) und Schlagwortnormdatei (SWD) vereint. Insbesondere die flexiblere Datenstruktur der Unterfelder verspricht neue Möglichkeiten der Datenverknüpfung. BERNHARD EBNETH (München) demonstrierte Datenintegration und Normdatei-Anwendung am Beispiel der Deutschen Biographie und des Biographie-Portals. Aus einer übergeordneten Perspektive stellte JOHANNES MIKUTEIT (Kiel) die Ansätze und Methoden der Digital Humanities und der DARIAH-Infrastruktur vor, wobei der DARIAH-Demonstrator „Personendaten-Repositorium“ (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) im Hinblick auf die Nutzungsmöglichkeiten für die Biografik besondere Berücksichtigung erfuhr.
Die vierte, abschließende Sektion widmete sich Kieler Professorinnen und Professoren seit der Kaiserzeit. CARSTEN MISH (Kiel) beleuchtete deren Tätigkeit zwischen Kaiserzeit, Weimarer Republik und Nazizeit am Beispiel Otto Scheels. Besondere Erwähnung verdient der Beitrag von ULF MORGENSTERN (Friedrichsruh), welcher das sogenannte „Old-Boys-Network“ der „Kieler Schule“ untersuchte; diese Untersuchung machte sichtbar, welche Art von Fragestellungen mithilfe von computergestützter Netzwerkanalyse oder -darstellung unmittelbar unterstützt werden könnten. Auch dem Beitrag von SARAH ORGANISTA (Kiel), in welchem statistische Analysen mit Einzelfallanalysen kombiniert werden, ist in dieser Hinsicht besonderes Potenzial zuzusprechen. Der Beitrag von MARTIN GÖLLNITZ (Kiel) bediente sich ebenfalls u.a. der Katalogdaten und behandelte die landesgeschichtliche Professur von Christian Degn.
In seinem Schlusswort hob OLIVER AUGE (Kiel) den jungen Charakter der Tagung und den Ausblick auf das „Neuland“ in den Sektionen 1 und 3 besonders hervor und betonte die Wichtigkeit sowohl der Vernetzung der bestehenden Professorenkataloge untereinander als auch deren dringend notwendige Nachhaltigkeit. Die Tagungsbeiträge sollten in einem Jahrbuch bzw. in Beiträgen zur Kieler Stadtgeschichte veröffentlicht werden.
Insgesamt offenbarte die Veranstaltung ein großes Vernetzungsinteresse prosopographischer Katalogprojekte, wenngleich die Frage, welcher technische Weg dabei eingeschlagen werden soll, ungeklärt blieb. Dabei ist die Verwendung von PND bzw. GND mittlerweile durchgängig etabliert; in der Folgezeit käme es aber auf die tatsächliche Umsetzung der Semantic-Web-Ideen an, welche m.E. nicht mit dem Verlinken einzelner Datenblätter erledigt sind, sondern erst durch Verbundlösungen mit hoher Vernetzungdichte realisiert sein werden. Die neu eingeführte GND deutet die zahlreichen Möglichkeiten bereits an und kann in diesem Zusammenhang eine tragende Rolle spielen. Offen bleibt die Frage, inwiefern das digitale Material in Zukunft häufiger eine Grundlage für die historische Forschung bieten wird; die Tagungsbeiträge zeigten, dass das Potenzial bislang zwar nur in Einzelfällen, dann aber durchaus gewinnbringend ausgeschöpft wurde.
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