Wissenschaftler brauchen typografisches Grundwissen!

»Bücher werden heute in großer Zahl hergestellt. Der Wissenschaftler meint vielfach, es komme dabei vor allem auf den Inhalt an. Das ist nur zum Teil richtig. Wenn ich einen guten Wein aus einer Kaffeetasse trinke, wird er verdorben. Daß lieblose Fertigung, wie wir sie heute weithin erleben, ein Buch verderben kann, erfahren wir ständig durch schlechte Einbände, zu engen, kleintypigen Satz, ein ungenügendes Layout usw. Der Leser wird finden, daß wir uns auch in der äußeren Gestalt der neuen Buchreihe um eine der Wissenschaft angemessene Graphik, eine gute Handhabbarkeit und Lesbarkeit bemüht haben. Wir meinen, das eine müsse zum anderen kommen, um ein ganzes Buch, das inhaltlich und formal eine Einheit geworden ist, präsentieren zu können.«

Was Prof. Dr. Gunter Mann als Leiter des Medizinhistorischen Instituts der Universität Mainz 1984 im Vorwort zum ersten Band der Reihe »Soemmerring-Forschungen« schrieb, ist heute — über 25 Jahre später — leider immer noch aktuell: wissenschaftliche Bücher werden durch schlechte Typografie »verdorben«.

Zwar gehört der Computer in der Zwischenzeit zum wissenschaftlichen Alltagsleben, allerdings hat dies nicht zur Verbesserung der Gestaltung von wissenschaftlichen Publikationen beigetragen. Im Gegenteil: durch die Möglichkeit, Satzspiegel, Schriftart, Zeilenabstand etc. selbst zu verändern bzw. durch mangelhafte Vorlagen in den Programmen ist das typografische Niveau wissenschaftlicher Publikationen eher gesunken. Denn die »typografische Allgemeinbildung« ist im selben Zeitraum nicht besser geworden.

Hinzu kommt noch, dass viele Verlage heutzutage nur noch in geringem Umfang den Autoren Unterstützung anbieten. Möchte man seine Dissertation publizieren muss man — neben oft hohen Druckkostenzuschüssen — auch noch selbst die druckfähige Vorlage liefern. Das führt mitunter schonmal dazu, dass durch eine nur 8 pt große Type im Fließtext (eigentlich für Fußnoten gedacht) Seiten gespart werden. Hervorragende Dissertationen bleiben so ungelesen. Manchmal können formale Vorgaben im Rahmen einer Reihe noch etwas retten, aber dann sitzt der typografische Fehlerteufel immer noch im Detail: hochgestellte Fußnotenzahlen, falsche Kapitälchen etc. treiben jedem Setzer alter Schule die Tränen in die Augen. Abhilfe würde da schon schaffen, wenn sich Wissenschaftler/-innen wenigstens Grundkenntnisse der Typografie aneignen. Das Buch »Erste Hilfe in Typografie« beispielsweise gibt auf 104 Seiten die wichtigsten Tipps für Einsteiger. Einfach und schnell kann man damit den richtigen Umgang mit Schriftarten und Bildern erlernen. Denn Typografie ist keine Kunst, sondern ein Handwerk, dessen Regeln man auch als Laie erlernen und anwenden kann. Und mit 12,90 € ist das Buch auch wahrlich keine teure Investition — insbesondere für seine eigene Arbeit.

Technisch und praktisch ist es also kein Problem, typografische Missstände zu beseitigen. Zur Umsetzung müssen allerdings auch Geisteswissenschaftler/-innen verinnerlichen, dass guter Inhalt auch gut präsentiert werden muss. Oder wie Gunter Mann schrieb: der Wissenschaft angemessen. Das (äußere) Gestalten seines Textes übernimmt nämlich heutzutage mehr denn je der Wissenschaftler selbst. Ob er will oder nicht.

 

Mehr zum Thema:

Yves Vincent Grossmann: »Gefragt: Wissenschaftliche Publikationen mit ästhetischem Layout«. In: artefakt. Zeitschrift für junge Kunstgeschichte und Kunst. 10.03.2010.

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